Was Migrationsmuseen bringen

Von Milena Österreicher · · 2024/Jan-Feb
So könnte es aussehen: In Köln entsteht ein Migrationsmuseum in einer stillgelegten Industriehalle. © Domid Migrationsmuseum Hallen Kalk

Weltweit gibt es Museen, die sich dem Thema Migration widmen, einige davon im Globalen Süden. In Österreich fehlt hingegen bis heute eines.

Accra in Ghana, Buenos Aires in Argentinien, Amritsar in Indien, Katugastota in Sri Lanka, Antwerpen in Belgien: All diese Städte beherbergen ein Migrationsmuseum. Doch wozu braucht es ein solches? „Migrationsmuseen leisten einen wichtigen Beitrag, um Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken sowie Inklusion zu fördern“, sagt Gegê Leme Joseph. Die gebürtige Brasilianerin, die im südafrikanischen Johannesburg lebt, koordiniert ein Museumsnetzwerk. Dabei handelt es sich um einen losen Zusammenschluss von Migrationsmuseen auf der ganzen Welt, der 2019 ins Leben gerufen wurde und Teil der Initiative International Coalition of Sites of Conscience (ICSC) ist.

Das Netzwerk zählt derzeit 27 Mitglieder in 18 Ländern auf fünf Kontinenten, darunter die Einrichtungen in den anfangs aufgelisteten Orten. In allen Museen geht es um die globalen Bewegungen von Menschen.

Beitrag von Migrant:innen. „Migration ist seit Jahrtausenden Teil unserer Geschichte, unabhängig davon, wo wir geboren wurden“, erklärt Joseph. Es herrschten immer wieder Narrative im Migrationsdiskurs, die unvollständig seien und ein stereotypes Bild der Migration vermittelten. „Wir möchten daher die Erfahrungen nachvollziehbar darstellen, sodass man ein gewisses Maß an Empathie aufbringen kann, und damit ein klares Bild des Beitrags von Migrant:innen  zu den Gsellschaften zeichnen“, so die Museumswissenschaftlerin.

Migration ist sowohl ein historisches als auch ein höchst aktuelles Thema. Viele unserer Gesellschaften wurden und werden durch Migration geprägt. Ein Beispiel sieht Joseph in ihrem Geburtsland: „Die brasilianische Gesellschaft ist vollständig auf Migration aufgebaut: von den portugiesischen Kolonialherren, tausenden versklavten Menschen aus Westafrika bis hin zu späteren Migrationsbewegungen.“

In der brasilianischen Metropole São Paulo zeigt das Museu da Imigração do Estado de São Paulo einen Teil dieser Geschichte. Nachdem 1888 die Sklaverei in Brasilien abgeschafft wurde, bestand ein großer Bedarf an Arbeitskräften. In Europa herrschten zur gleichen Zeit Hunger und Armut. Infolgedessen entwickelte Brasilien, insbesondere der Bundesstaat São Paulo als Hauptproduzent von Kaffee, eine Einwanderungspolitik, im Zuge derer die Hospedarias entstanden: Herbergen, wo die Zuwander:innen ankamen, um später auf den Feldern und in der Industrie zu arbeiten.

In der Hospedaria de Imigrantes do Brás – das Gebäude, wo sich das heutige Immigrationsmuseum São Paulos befindet – wurden vornehmlich europäische Zuwander:innen willkommen geheißen. Sie blieben ein paar Tage dort, erhielten Unterstützung bei der Arbeitssuche und den Formalitäten. Das Museum erzählt heute aber auch von der Zwangsmigration von Afrikaner:innen nach Brasilien sowie der Binnenmigration, die vor allem die indigene Bevölkerung betraf.

In Peru wurden im 20. Jahrhundert Arbeiter:innen gebraucht, diese wurden vor allem aus Japan angeworben. Das Museo de la Inmigración Japonesa al Perú in Lima bezeugt diesen Teil der peruanischen Geschichte. In Argentinien zeigt das Museo del Inmigrante Italiano in Buenos Aires die italienische Zuwanderung in das südamerikanische Land – was Italiener:innen mitbrachten und wie ihr Leben in Argentinien verlief.

Geschichte(n) vermitteln: Dass Migration den Normalfall darstellt, ist noch nicht überall angekommen. © Dietrich Hackenberg / DOMiD-Archiv Köln

Migrantische Selbsthistorisierung. Eine stärkere Inklusion von Migrationsgeschichte(n) wird auch in Österreich gefordert. Mit 40 Jahren Arbeitsmigration beschäftigte sich 2004 die Ausstellung „Gastarbajteri“ der Initiative Minderheiten und des Wien Museums. Um die Konzeption und Umsetzung eines Migrationsarchivs bemühte sich Jahre später auch der Arbeitskreis Archiv der Migration.

Im Jahr 2019 formte sich rund um den Philosophen Ljubomir Bratić und die Kulturwissenschaftlerin Elena Messner zu diesem Zweck ein Kollektiv. Sie eröffneten beim Kulturfestival Wienwoche vergangenes Jahr symbolisch das Musmig, ein im Rahmen des Festivals temporäres Museum der Migration als Versuch der migrantischen Selbsthistorisierung. Das Musmig-Kollektiv fordert ein lebendiges Museum, in dem Objekte der Migration mithilfe der in Österreich lebenden Communitys gesammelt, ausgestellt und kontextualisiert werden.

„Migrationsmuseen bilden nicht nur historische Fakten ab“, sagt Urrutia Reyes, die 2023 zum Musmig-Kollektiv stieß, „sie erzählen auch von den vielen Emotionen, schwierigen Entscheidungen und der Trennung von der Familie.“ So könnten sie heutzutage einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Debatten liefern und Visionen für die Migrationsgesellschaften von morgen skizzieren.

Selten Staat initiativ. Gründe, auch in Österreich ein ständiges Migrationsmuseum einzurichten, gibt es genug. Österreichs Geschichte ist geprägt durch Auswanderung, etwa von jenen Menschen, die vor dem Nazi-Terror fliehen mussten, sowie Zuwanderung, etwa durch das „Gastarbeiterabkommen“ mit der Türkei, das mittlerweile vor 60 Jahren geschlossen wurde. Indessen wächst Österreichs Bevölkerung nur mehr durch Zuwanderung. Im vergangenen Jahr hat die Einwohner:innenzahl in Wien die Zwei-Millionen-Marke überschritten, knapp die Hälfte der Menschen hat eine Migrationsgeschichte.

Bis Österreich ein Migrationsmuseum bekommt, dürfte es noch dauern. Die Koordinatorin des weltweiten Migrationsmuseen-Netzwerks, Gegê Leme Joseph, ermutigt, weiterzukämpfen. „Viele der Museen sind aus einer Gemeinschaftsinitiative oder einer Forderung der Communitys nach einem Ort der Erinnerung an ihre Migrationserfahrungen entstanden“, erzählt sie. Nur in seltenen Fällen sei es der Staat gewesen, der die Initiative ergriffen habe.

Die entscheidende Voraussetzung für Migrationsmuseen seien Engagement und die Forderungen einer aktiven und engagierten Gesellschaft.

Milena Österreicher ist Chefredakteurin des MO-Magazins für Menschenrechte. Zudem schreibt sie als freie Journalistin über Feminismus, Menschenrechte und Migration.

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